Unerwartet großen Zuspruch fand der digitale Workshop „Mobile Rehabilitation bei psychischen Beeinträchtigungen“ am 21. Januar 2022, zu dem die BAG Mobile Rehabilitation (BAG MoRe) in Kooperation mit der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR), der Diakonie Deutschland und der Aktion Psychisch Kranke e.V. (APK) eingeladen hatten. Über 120 Fachleute und Interessierte nahmen teil, um sich über die Möglichkeiten ambulanter, zugehender Gesundheitsversorgung psychisch Erkrankter auszutauschen.
Erstmals wurde dabei über Erfahrungen aus zwei Welten, der stationsäquivalenten Akutbehandlung sowie der mobilen medizinischen Rehabilitation, „bereichsübergreifend“ berichtet. Die Resonanz der Teilnehmenden war sehr positiv; einige unterstrichen den großen Informationszugewinn.
Der Workshop ging der Frage nach, inwieweit mobile medizinische Rehabilitation für rehabilitationsbedürftige Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen ein notwendiger Versorgungsbaustein sein kann, wenn die für sie relevante Rehabilitationsziele am besten im gewohnten Wohnumfeld unter Einbeziehung der Kontextfaktoren erreicht werden können. Dieser Ansatz stützt sich u.a. auf Erkenntnisse aus dem vom BMG initiierten Psychiatrie-Dialog zur Weiterentwicklung der Hilfen für psychisch erkrankte Menschen und dem Diskussionsprozess innerhalb der DVfR sowie auf die Tatsache, dass bislang eine Versorgungslücke für die personzentrierte Anschlussrehabilitation nach stationärer psychiatrischer Behandlung bei schweren psychischen Erkrankungen besteht.
Die Referenten, Dr. med. Rudolf Siegert (Vorsitzender der BAG MoRe), Dr. med. Matthias Schmidt-Ohlemann (Vorsitzender der DVfR), Ulrich Krüger (APK), Prof. Dr. Hans-Jörg Assion (Ärztl. Direktor der LWL-Klinik, Dortmund), Prof. Peter Brieger (Ärztlicher Direktor. kbo-Isar-Amper-Klinikum, München/APK) sowie Prof. Dr. Jürgen Armbruster und Dipl. Psych. Andres Plieninger (Rudolf-Sophien-Stift gGmbH, Stuttgart), erläuterten in ihren Beiträgen Ansätze zur Überwindung von Versorgungdefiziten und Konzepte der zugehenden akutmedizinischen Versorgung und Rehabilitation bei psychischen Erkrankungen.
Die wichtigsten Aussagen im Überblick:
- Die zugehende, im Lebensumfeld psychisch erkrankter Menschen eingebundene Gesundheitsversorgung auszubauen, ist der richtige Weg. Sowohl in der Akutversorgung (z.B. stationsäquivalente Behandlung) als auch in der Rehabilitation (mobile Rehabilitation) kann dadurch eine bedarfsgerechte und nachhaltige Versorgung sichergestellt werden.
- Solche Versorgungsformen bei psychischen Beeinträchtigungen sollten künftig in Modellprojekten erprobt und vernetzt werden. Dabei sollen die Ergebnisse aus diversen Diskursen (u.a. Psychiatrie-Dialog, bei der DVfR, APK, Fachgesellschaften, aus Projekten) aufgegriffen werden.
- Medizinische Rehabilitationsangebote sind für das Klientel mit schweren psychischen Erkrankungen derzeit nicht ausreichend vorhanden. Bei den wenigen vorhandenen Angeboten wie Rehabilitationseinrichtungen für psychisch Kranke/RPK (bisher vor allem beruflich orientiert) oder der Gemeindepsychiatrie besteht Entwicklungsbedarf hinsichtlich der medizinischen Rehabilitation. Die vorhandenen Angebote der psychosomatischen Rehabilitation sind für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen häufig nicht geeignet.
- Eine enorme Herausforderung sei es, die notwendige Zusammenarbeit der verschiedenen Versorgungsbereiche SGB V, SGB XI, SGB IX und gemeindenahen Diensten zu organisieren und Schnittstellen zu überwinden. Die gesetzlichen Vorgaben (wie u.a. ambulant vor stationär, personenzentriert, teilhabeorientiert u.a.) werden derzeit nicht ausreichend umgesetzt. Sind ggf. Nachjustierungen im Sozialrecht erforderlich?
- Es gilt, auch für Menschen mit schweren psychischen Beeinträchtigungen das Recht auf Anschlussrehabilitation durchzusetzen.
- In ein künftiges Gesamtkonzept für die Versorgung müssen Angebote der medizinischen Rehabilitation einbezogen werden. Das Konzept der mobilen Rehabilitation mit Struktur- und Prozessmerkmalen bislang für somatische Indikationen (s. „Gemeinsame Empfehlungen zur mobilen Rehabilitation“ der GKV vom 01.06.2021) ist eine geeignete Grundlage und sollte für den Indikationsbereich psychischer Erkrankungen weiterentwickelt werden.
Aus der Diskussion:
In der Diskussion sprachen TeilnehmerInnen an, dass mobile Rehabilitation zu wenig bekannt sei. Auch bewerteten sie zugehende Versorgungsangebote für psychisch kranke Menschen als in den allermeisten Fällen sehr zielführend und nachhaltig und unterstützten die Forderungen zum Versorgungsausbau. In einem solchen Setting sind Angehörige gut einzubinden, denn sie haben eine zentrale Rolle für den Erfolg einer Rehabilitation.
Ausblick:
Im Hinblick auf die bedarfsgerechte Versorgung von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen ist trotz einiger Modelle mit zugehenden, personenzentrierten Ansätzen noch viel zu tun.
Dieser Workshop war ein erster Schritt, Problemlagen zu identifizieren, vorhandene Erfahrungen auszuwerten und neue Ansätze kennenzulernen. Das klare Votum der heutigen Veranstaltung für den Ausbau gut vernetzter aufsuchender Behandlung und Rehabilitation, einschl. gemeindepsychiatrischer Ansätze, wird die DVfR aufgreifen und mit ihren Partnern einen Diskussionsprozess zur Klärung vieler offener Detailfragen zur Realisierung solcher Versorgungsangebote in Gang setzen.
In seinem Schlusswort wies Dr. Siegert darauf hin, dass die BAG MoRe den weiteren Diskurs ebenfalls unterstützt, z.B. im Rahmen des Symposiums Mobile Rehabilitation am 20.05.2022 in Berlin.
Die Workshop-Beiträge zum Download:
Einführung-Erfahrungen Mobile Rehabilitation – M. Schmidt-Ohlemann (DVfR)
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Aufsuchende (mobile) Rehabilitation bei psychischen Beeinträchtigungen – U. Krüger (APK)
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Psychiatrische Versorgung in der Häuslichkeit – stationsäquivalente Behandlung – H.-J. Assion
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Psychiatrische Versorgung in der Psychiatrische Versorgung in der Häuslichkeit – stationsäquivalente Behandlung – P. Brieger
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Mobile Rehabilitation in der Psychiatrie (Projekt „RESET) – J. Armbruster und A. Plieninger
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